Sonntag, 18. November 2012

the beginning.



Als ich ein Kind war wunderte es mich warum ich mich nicht an die allerersten Jahre meines Lebens erinnern kann. Ich fragte mich, ob ich wenn ich älter bin noch mehr Erinnerungen verlieren werde. Ich versuchte mich möglichst weit zurück zu erinnern. Da kamen verschwommene Bilder wie zum Beispiel ein Granatapfel in einem weißen Teller; meine Tante die mir im Park ein Sackerl voll mit Süßigkeiten brachte; ich sah wie ich an Mamas Schoß saß und meine Suppe nicht essen wollte. Aber die erste klare Erinnerung war die, die mein Leben veränderte. Ab diesem Tag war klar, dass mein Leben nicht wie geplant laufen würde. 

Ich wachte auf und sah durch das Gitter meines Kinderbettes meine Eltern am Balkon stehen. Ich kletterte hinaus und ging zu ihnen. Das erste was mir aufgefallen war, war dass die linke Ecke des Hauses von gegenüber brannte. Dann sah ich nach unten, wo eine riesige Menschenmenge Richtung Kellereingang des Nebenhauses marschierte und eine kleinere Menge zum Keller unseres Hauses. Ich fragte was los war. Mama sagte „Es ist Krieg. Wir müssen in den Keller.“ In diesem Moment dachte ich nur eines und zwar, dass der Keller des anderen Hauses sicher besser war, weil ja sonst nicht der größere Teil der Menschen dorthin wollen würde. Aber wir gingen in unseren Keller.

Es war feucht und dunkel. Ich hörte, dass draußen die Bomben fielen. Bei jeder Explosion musste ich zusammenzucken. Mir wurde gesagt, ich  soll keine Angst haben. Wir sind hier sicher. Ich hatte ehrlich gesagt auch keine Angst. In diesem Moment war mir noch nicht wirklich klar, was vor sich geht. Das einzige was mich beschäftigte war, warum ich noch keine Ratten gesehen habe, weil alle anderen meinten es gäbe hier welche. Mein Bruder nannte mich immer Maus und ich liebte Mäuse und dachte Ratten wären genauso niedlich. Apropos Bruder. Meine 4 Brüder waren nicht bei uns. Sie sind am Abend vor dem Kriegsausbruch zu meinem Onkel gefahren. Jetzt wussten wir nicht, ob sie am Leben sind. Und sie wussten nicht, ob wir noch leben. Der Krieg kam so plötzlich … 

Es wurde Tag und Nacht bombardiert. Als Menschen, die hinausgingen verwundet, von Blut überströmt und mit fehlenden Körpergliedern zurückkamen, wurde mir bewusst, dass wir hier nicht raus dürfen und wahrscheinlich für immer da bleiben müssen. Ab da an hatte ich Angst. Ich kann mich an eine Frau erinnern, die nach Kaugummi roch und mich mit ihren Geschichten unterhielt. Ich weiß nicht was sie mir erzählte, ich weiß nur, dass ihre Stimme und der Kaugummigeruch etwas Beruhigendes hatten.

Am sechsten Tag war es soweit. Papa, Mama, meine zwei Schwestern und ich verließen den sicheren Keller. Raus ins Feuer. Direkt in die Hölle. Mit einer weißen Fahne bewaffnet. Mit uns kamen noch einige andere Menschen, aber alle anderen waren fest davon überzeugt es wäre Selbstmord jetzt schon rauszugehen.  Fast den ganzen Weg hindurch hielt meine Mama mir die Augen mit der einen Hand zu und mit der anderen Hand die Augen meiner Schwester. Immer wieder versuchte ich ihre Hand wegzutun, weil ich es nicht ertragen konnte nicht zu sehen wo ich hintrete, doch jedes Mal als ich es schaffte durch 2 Finger hindurch zu blicken, bereute ich es. Leichen. Überall. Männer, Frauen, Kinder. Hunde, Katzen, Vögel. Alles war tot. Es war eine andere Welt. Das konnte alles einfach nicht real sein. Es muss ein Alptraum sein. Doch ich wachte nicht auf. 

Hin und wieder blieben wir stehen und machten Fotos. Als ich später Mama fragte, wozu wir eigentlich mitten im Krieg uns fotografiert haben, sagte sie „Falls wir auf dem Weg getötet würden und unsere Leichen nicht identifizierbar wären, würde man uns auf den Fotos erkennen.“

Wir kamen an. Unsere Familie war vereint. Wir waren nicht in Sicherheit, aber wir waren zusammen und wir waren am Leben. Und nur das zählte.


Jetzt bin ich erwachsen und habe Vieles aus meiner Vergangenheit vergessen. Ich habe mein Gedächtnis in all diesen Jahren so trainiert, dass ich nur mehr gute Erinnerungen für immer behalte und die schlechten werden so weit versteckt, dass ich sie nur durch bewusstes Zurückdenken wieder heraufbeschwören kann. Und das tue ich nicht oft, weil ich sonst daran kaputt gehen würde. 

A.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen